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„Leider hat Israel Erfolg mit seiner Strategie, jede Kritik zum Schweigen zu bringen“

Der Journalist Gideon Levy von der israelischen Zeitung „Haaretz“ kritisiert die Nahost-Politik der Bundesregierung in einem Interview. Die Berliner Zeitung sprach mit ihm über eine drohende israelische Reaktion auf den Iran, den Krieg im Gazastreifen und das Verbot des Palästina-Kongresses in Berlin.

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Bild: shutterstock/Anas-Mohammed

Gideon Levy ist der Ansicht, dass Israel in naher Zukunft einen Vergeltungsschlag gegen den Iran führen wird. „Denn Israel lässt keine Gelegenheit aus, Fehler zu machen“, erklärte er der Zeitung. Es gibt aus seiner Sicht zwei Möglichkeiten: Ein großen Militärschlag gegen den Iran. „Dies wird zu einem regionalen Krieg führen, den niemand will. Oder ein symbolischer Beschuss vom Iran. „Dann wird es nur begrenzten Schaden geben.“ Aber beide Schritte würden zu nichts führen. Trotzdem sind „alle für einen weiteren Angriff“, ist er sich sicher.

Er erklärt es damit, dass Israelis normalerweise die Tendenz haben, aggressive, militärische Schritte zu unterstützen. Zudem denke niemand über die Kosten und Konsequenzen nach. Das sei auch bei den Militärschlägen gegen Gaza nicht getan worden. Doch er weist auf die möglichen fatalen Folgen bei einem Angriff auf den Iran.

Israelis für die Fortsetzung des Krieges

Was den Gazastreufen betrifft, da sind auch Levy zufolge die Israelis in ihrer großen Mehrheit für die Fortsetzung des Krieges. Bei den aktuellen Protesten in Israel werde der Rücktritt von Premierminister Benjamin Netanjahu und die Freilassung der von der Hamas entführten israelischen Geiseln gefordert. Aber niemand spreche von einem Ende des Krieges, kritisiert er. „Die Regierung führt den Krieg weiter, weil sie nicht weiß, was sie sonst tun soll.“ Es gibt laut dem Journalisten keinen „Plan für den Tag danach“. Nach Levy ist es klar, dass niemand aus dem Gazakrieg als Sieger hervorgehen wird. Dasselbe gelte für den Iran. „Der Unterschied ist, dass ein Krieg mit dem Iran viel gefährlicher sein wird.“

Zu dem Palästina-Kongress am vergangenen Wochenende in Berlin, der von den deutschen Behörden kurz nach dem Beginn verboten wurde, sagt der Haaretz-Journalist: Er sei besorgt, nicht nur deshalb, wie mit den Palästinensern umgegangen wird, sondern auch wegen der Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland. „Leider hat Israel Erfolg mit seiner Strategie, jede Kritik zum Schweigen zu bringen, indem es sie als Antisemitismus abstempelt.“ Israel zu kritisieren, wurde in Deutschland laut dem 70-Jährigen kriminalisiert. Doch „es wird den Antisemitismus nur verstärken, nicht verringern.“

Deutschlands Verantwortung für die Nakba

Deutschland trage für die Verbrechen der Shoah eine große Verantwortung, sagt er. Doch, es habe zumindest eine indirekte Verantwortung gegenüber den Palästinensern, betont er. „Denn die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land, ist eine Folge des Holocaust.“

Levy kritisiert die Rolle Deutschlands an der Seite Israels im Krieg gegen Gaza: „Als Russland in die Ukraine einmarschiert ist, hat Deutschland das sehr deutlich verurteilt und Maßnahmen ergriffen. Als Israel in den Gazastreifen einmarschierte, stand Deutschland Israel zur Seite.“ Das sei keine Freundschaft. „Ein Freund sollte kritisieren und Maßnahmen ergreifen, wenn es nötig ist.“

Die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung findet er richtig, aber seiner Meinung nach „derzeit unmöglich umzusetzen“. Die mittlerweile 700.000 Siedler im Westjordanland seien sehr mächtig geworden, so der Kolumnist der israelischen Tageszeitung Haaretz. Unter diesen Umständen ist laut Levy ein palästinensischer Staat nicht lebensfähig.

Zu dem Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Israel sagte er: Wenn Frau Baerbock der Meinung ist, dass der Krieg in Gaza unverhältnismäßig ist und beendet werden sollte, dann müssen konkrete Schritte folgen. Aber wenn sie nur redet, ist das wirklich Zeitverschwendung.

Baerbocks Streit mit Netanjahu

Der jüngste Besuch der Außenministerin in Israel löste eine heftige Rekation der Medien aus. Laut einer israelischen Journalistin gab es beim Treffen von Baerbock und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu einen heftigen Streit über Bilder aus dem Gaza-Streifen. Die Grünen-Politikerin sprach von „verzerrenden Veröffentlichungen“. Zuvor hatte das Auswärtige Amt den Bericht über den Streit als irreführend bezeichnet.

Grund soll demnach gewesen sein, dass, auf den Aufnahmen mit Lebensmittel gefüllte Märkte zu sehen waren, es gebe keine Fälle von Hunger dort, soll Netanjahu erklärt haben. Die Grünen-Politikerin habe daraufhin auf den Hunger der Menschen in dem Küstengebiet hingewiesen. Baerbock riet Netanjahu dem Bericht zufolge auch dazu, die Bilder nicht zu zeigen, da sie nicht der Realität im Gazastreifen entsprächen. Israels Regierungschef wiederum habe darauf lautstark erwidert, dass die Bilder echt seien. „Wir sind nicht wie die Nazis“, soll Netanjahu laut mehreren Berichten gesagt haben. Die Nazis hatten 1942 etwa ein Filmteam einen Propagandafilm mit gestellten Szenen des Alltags im Warschauer Ghetto drehen lassen.

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